Aufzeichnungen eines russischen Reisenden:

DAS BILD DEUTSCHLANDS IN DER RUSSISCHEN KUNST

Aufklärung, deutsche Romantik und Genauigkeitsfaible
AUFZEICHNUNGEN EINES RUSSISCHEN REISENDEN:
DAS BILD DEUTSCHLANDS IN DER RUSSISCHEN KUNST
Aufklärung, deutsche Romantik und Genauigkeitsfaible
Eine gute Ausbildung, entwickeltes Handwerk, romantische Kunst und besondere Mentalität mit der Liebe zur Genauigkeit - das ist Deutschland. Für russische Reisende war es in verschiedenen Jahrhunderten sowohl Land der Aufklärung, als auch Kriegsgegner, sowie Hochburg für Emigranten. Untersuchen wir, welchen Einfluss Deutschland auf die russische Kultur hatte.
Eine gute Ausbildung, entwickeltes Handwerk, romantische Kunst und besondere Mentalität mit der Liebe zur Genauigkeit - das ist Deutschland. Für russische Reisende war es in verschiedenen Jahrhunderten sowohl Land der Aufklärung, als auch Kriegsgegner, sowie Hochburg für Emigranten. Untersuchen wir, welchen Einfluss Deutschland auf die russische Kultur hatte.
Die Geschichte der russisch-deutschen Beziehungen beginnt im 10. Jahrhundert: ein Teil des Heiligen Römischen Reichs und der Altrussische Staat waren damals Handelspartner. Unter Iwan III. wird der erste russische Student in Europa — Silvester Malyj aus Nowgorod — zum Erlernen des Dolmetscher- (Übersetzer-)Handwerks an die Universität Rostock entsandt Aus den deutschen Ländern begannen Fachleute für das Kriegs- und Waffenhandwerk nach Russland zu kommen. Alle ausländische Mietarbeiter in jener Zeit wurden "Nemzy" (Deutsche) genannt, was "die Stummen", "nicht fähig, in einer verständlichen Sprache zu sprechen", bedeutete. Sie wurden in Deutschen Siedlungen (Sloboda) angesiedelt.
Unter Boris Godunov begann man organisierte Gruppen zum Lernen ins Ausland zu schicken: nach London, Stockholm und ins deutsche Lübeck. Die gute Ausbildung wurde auch in der Zeit Peters I. geschätzt. Während künstlerisch begabte Schüler nach Italien und Frankreich geschickt wurden, gingen Studenten in deutschen Städten an die medizinische, juristische und philosophische Fakultäten: am häufigsten an die Universitäten Göttingen, Königsberg, Leipzig, Strassburg und Leiden. Nach deutschem Vorbild wurde das russische Universitätssystem aufgebaut. Michail Lomonossow studierte an der Universität Marburg und in Freiberg.
Michail Lomonossow
Michail Lomonossow
Der wissenschaftler
"Gegenwärtig wohne ich inkognito in Marburg bei meinen Freunden und übe mich in Algebra, wobei ich bestrebt bin, sie in der Chemie und theoretischen Physik anzuwenden. Ich tröste mich bislang damit, dass es mir gelungen ist, in den erwähnten berühmten Städten zu weilen und dabei mit einigen erfahrenden Chemikern zu sprechen, ihre Laboratorien anzusehen und die Bergwerke in Hessen und Siegen kennenzulernen…"

Brief von Michail Lomonossow an Iwan Schumacher, 1740
Michail Lomonossow
Michail Lomonossow
Wissenschaftler
"Gegenwärtig wohne ich inkognito in Marburg bei meinen Freunden und übe mich in Algebra, wobei ich bestrebt bin, sie in der Chemie und theoretischen Physik anzuwenden. Ich tröste mich bislang damit, dass es mir gelungen ist, in den erwähnten berühmten Städten zu weilen und dabei mit einigen erfahrenden Chemikern zu sprechen, ihre Laboratorien anzusehen und die Bergwerke in Hessen und Siegen kennenzulernen…"

Brief von Michail Lomonossow an Iwan Schumacher, 1740

Ab der Petrinischen Periode festigten sich die russisch-deutschen dynastische Bande. Zu Gatten von Majestäten der Romanovs wurden Vertreter einflussreicher Familien. Die Häuser Hohenzollern, Oldenburg und Mecklenburg, Herzöge von Hessen — sie alle in das russische Reich deutsche Bauern ein. Sie erhielten unbebaute Ländereien zu Vorzugsbedingungen und entwickelten dort die Landwirtschaft. So entstand der auch heute noch bekannte Begriff "Russlanddeutsche".
Im 19. Jahrhundert reisten Vertreter der russischen Elite und Intelligenz in deutsche Städte zu wissenschaftlichen Tagungen und Buchmessen, lernten dort berühmte Wissenschaftler und Philosophen kennen. Viele erholten sich in den Kurorten Bad Ems und Baden-Baden, besuchten botanische Gärten und Sternwarten.
Nach der Bildung eines einheitlichen deutschen Staates in den 1880er Jahren begannen sich die russisch-deutschen Beziehungen zu verschlechtern. Und 1914 begann der Erste Weltkrieg — Russland und Deutschland kämpften auf verschiedenen Seiten der Front.
Die beiden Länder näherten sich wieder während der revolutionären Umbrüche der Nachkriegszeit an. 1922 begaben sich zwei "Philosophenschiffe" von Petrograd in das deutsche Stettin: Ausgewiesene Kulturschaffende verließen die Sowjetunion. Darunter waren Nikolai Berdyaev, Pitirim Sorokin, Lev Karsavin, Sergey Trubetskoy, Ivan Ilyin und andere. In den 1920er wohnten die meisten russischen Emigranten in Deutschland. Die Hauptstadt hieß man sogar "russisches Berlin".
Der Große Vaterländische Krieg hat jahrzehntelang die negative und misstrauische Haltung gegenüber Deutschland und seinen Menschen bestimmt. Eine Abmilderung erfolgte erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: als wesensverwandt wurde sein östlicher Teil, die Deutsche Demokratische Republik (DDR), aufgefasst.
Touristen, die in Deutschland gewesen waren, führten Tagebücher. Denis Fonvizin schrieb über die Zersplitterung der Länder: "Von Frankfurt aus fuhr ich durch die deutschen Fürstentümer: bei jedem Schritt ein neuer Staat". Der Industrielle Nikita Demidov merkte künstlerische Schnörkel an:
Nikita Demidov
Nikita Demidov
Der industrielle
"Nach dem Mittagessen fuhren wir, um uns Paläste anzusehen <…> Im ersten sahen wir eine Gemäldegalerie, darin waren die besten Bilder von Rubens, Van Dyck, Jordan und anderen berühmten Pinseln (Kunstmaler — Anm. d. Red.). In dieser Galerie sind die Marmorsäulen besser, als die des heutigen Architekturgeschmacks. Sie liegt auf einem Berg, und unten ist ein gut gelegener Garten mit den sich aus dem Blick verlierenden Alleen, in denen an manchen Orten sprudelnde Brunnen und Teichen zu sehen sind".
Nikita Demidov
Nikita Demidov
Der industrielle
"Nach dem Mittagessen fuhren wir, um uns Paläste anzusehen <…> Im ersten sahen wir eine Gemäldegalerie, darin waren die besten Bilder von Rubens, Van Dyck, Jordan und anderen berühmten Pinseln (Kunstmaler — Anm. d. Red.). In dieser Galerie sind die Marmorsäulen besser, als die des heutigen Architekturgeschmacks. Sie liegt auf einem Berg, und unten ist ein gut gelegener Garten mit den sich aus dem Blick verlierenden Alleen, in denen an manchen Orten sprudelnde Brunnen und Teichen zu sehen sind".
Nikolai Karamzin führte Reiseaufzeichnungen für die Leser seines "Moskauer Journals". Als er die "Briefe eines Russischen Reisenden" herausgab, entstand ein neues literarisches Genre — die Reise. Der Autor beschrieb große Städte und Kunstgalerien, die Bekanntschaft mit berühmten Dichtern und mit Immanuel Kant, der in diesen Jahren die deutsche Aufklärung verkörperte.
Über Deutschland erzählten auch die Teilnehmer des ausländischen Feldzuges der russischen Armee der Jahre 1813−1814. Der Begründer des russischen historischen Romans Iwan Laschetschnikov, die Dichter Fjodor Glinka und Andrej Rajewskij hinterließen wahre literarische Reiseberichte — mit der Beschreibung von Landschaften, örtlicher Bevölkerung und ihrer Lebensweise. Als Offiziere aber achteten sie in erster Linie auf die militärischen Mannhaftigkeiten der Preußischen Armee. Rajewskij z.B. begann seine Aufzeichnungen über Deutschland mit solchen Worten: "Ich grüße dich, das Land, geweiht durch große Ereignisse der Vergangenheit, Wiege und Obelisk des unverrückbaren, ungebrochenen Ruhms von Friedrich der Einzigen! Ich grüße dich, Heimstatt der Freiheit, des Glücks und des Gewerbes!". Die Pietät gegenüber dem "Deutschen" entstand als Gegengewicht zur Gallomanie, die in den höchsten Kreisen bis zum Krieg von 1812 herrschte.
Die russische Romantik des beginnenden 19. Jahrhunderts geht auf die deutsche Literatur zurück. Russische Literaten lasen die Werke von Friedrich Schiller und Johann Wolfgang Goethe, E.T.A. Hoffmann und der Gebrüder Grimm begeistert. In die russische Sprache wurden diese von Nikolai Nowikov, Wasilij Schukowski, Wilhelm Küchelbecker, Alexander Gribojedow und anderen Schriftstellern übersetzt.
Im finsteren Norden,
Auf kahlem Felsen
Steht und schlummert eine einsame Zeder.
Umhengt vom Streuschneemeßgewand.
Das Original von Heine:
Ein Fichtenbaum steht einsam
Im Norden auf kahler Höh'
Ihn schläfert; mit weißer Decke
Umhüllen ihn Eis and Schnee.


Michail Lermontow, freie Übersetzung des Gedichtes von Heinrich Heine
Im finsteren Norden,
Auf kahlem Felsen
Steht und schlummert eine einsame Zeder.
Umhengt vom Streuschneemeßgewand.
Das Original von Heine:
Ein Fichtenbaum steht einsam
Im Norden auf kahler Höh'
Ihn schläfert; mit weißer Decke
Umhüllen ihn Eis and Schnee.


Michail Lermontow, freie Übersetzung des Gedichtes von Heinrich Heine
In den 1820er Jahren wurde das romantisierte Bild des "Landes der Dichter und Denker" so populär, dass die Literaten massenweise begannen, in den Deutschen Bund zu reisen, hauptsächlich nach Weimar, in die Heimat vieler Autoren. Dort lernten sie Philosophen und Publizisten kennen, und setzten dann den Gedankenaustausch in der Korrespondenz fort. Russische Dichter der Romantik übersetzten nicht nur deutsche Autoren, sondern ahmten sie auch in eigenen Werken nach.
Motive ausländischer Märchen wurden zur Grundlage für russische Märchen. Puschkins "Das Märchen vom Fischer und dem Fischlein" und "Das Märchen von der toten Zarentochter und den sieben Recken" klingen an die Werke der Brüder Grimm an. Die fantastischen Bücher von Ernst Hoffmann lasen russische Schriftsteller viele Jahrzehnte lang begeistert. Als "Russischen Hoffmann" betitelte man Antoni Pogorelsky, und als "Hoffmann II" - Wladimir Odejewski.
Mittels Figuren mit deutschen Wurzeln machten die Literaten die russischen Leser mit der besonderen Mentalität bekannt. Puschkins Hermann aus der "Pique Dame", Andrej Stolz bei Iwan Gontscharow, der Lehrer Christophor Lemm aus dem "Adelsnest" von Turgenew, die Helden Fjodor Dostojewskis formten das Bild "des typischen Deutschen": eines ordnungsliebenden, pedantischen und zurückhaltenden.
Dies wurde durch Gerede unter dem Volk ergänzt: "Russlanddeutsche" wohnten Seite an Seite mit russischen Bauern. In Scherzliedern, Sprüchen bildete sich das Image eines eifrigen, sorgsamen, arbeitsfreudigen Hausherrn: "Die russische Stunde dauert zehn Stunden, die deutsche aber ist endlos", "Der Deutsche begreift mit der Vernunft, und der Russe mit den Augen".
Nach dem Deutsch-Französischen Krieg und der Vereinigung der deutschen Länder im 1871 begann das Deutsche Reich, Waffen aufzubauen und mit anderen Ländern um Einflusssphären zu kämpfen. Die militaristischen Gesinnungen an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert spiegelten sich in den Werken russischer Publizisten und Schriftsteller wider.
Ob du, bewölktes Berlin,
Willst in unermüdlicher Bosheit
die Brillanz von Athen begehren
Und den Ruhm des königlichen Roms?
<…>
Was Brillanz der Klugheit war,
Bedeckte sich mit matter Routine,
Und Deutschland ist selbst
zu einer kolossalen Maschine geworden.


Fjodor Sologub "Der Geist von Berlin", 1914
Ob du, bewölktes Berlin,
Willst in unermüdlicher Bosheit
die Brillanz von Athen begehren
Und den Ruhm des königlichen Roms?
<…>
Was Brillanz der Klugheit war,
Bedeckte sich mit matter Routine,
Und Deutschland ist selbst
zu einer kolossalen Maschine geworden.


Fjodor Sologub "Der Geist von Berlin", 1914
Als der Erste Weltkrieg begann, meldeten sich viele Schriftsteller an die Front: Nikolai Gumilev und Nikolai Tikhonov, Michail Zoshchenko und Valentin Kataev. Demian Bedny, Konstantin Paustovsky, Sergey Yesenin, Michail Bulgakov, Michail Prishvin arbeiteten als Krankenpfleger und Feldscher. Und Valery Brusov, Ilya Ehenburg und Alexey Tolstoi gingen als Militärkorrespondenten auf das Schlachtfeld. Nach dem Krieg wurde Deutschland der Versailler Friede aufgedrängt, und als die Revolution in beiden Ländern stattfand, bekundeten die sowjetischen Dichter Solidarität mit den deutschen Arbeitern:
Das schenke ich dir, Deutschland!
Das sind
keine Tausende von Dollars,
mit diesem Lied kann man mit dem Hunger nicht abrechnen.
Na ja, du und ich —
wir sind beide bedürftig,
das ist das beste aus allem, was ich habe.


Wladimir Majakowski "Deutschland", 1923
Das schenke ich dir, Deutschland!
Das sind
keine Tausende von Dollars,
mit diesem Lied kann man mit dem Hunger nicht abrechnen.
Na ja, du und ich —
wir sind beide bedürftig,
das ist das beste aus allem, was ich habe.


Wladimir Majakowski "Deutschland", 1923
In den Jahren der Revolution verließen russische Kulturschaffende massenweise das Land. 1921−23 wurden viele russische Schriftsteller in Deutschland sesshaft: Vladimir Nabokov, Vladislav Chodasevich, Marina Tsvetaeva, Ilya Ehrenburg und andere. Berlin nannte man sogar ""die literarische Hauptstadt der Emigration". Das Land zu verlassen begann man erst in den späten 1920er Jahren, als die Wirtschaftskrise begann, die revanchistischen Gefühle in der Gesellschaft aufkamen und die Partei Adolf Hitlers an Stärke gewann.
In den 40er und 50er Jahren war das mit Deutschland verbundene Hauptthema der Große Vaterländische Krieg. Das literarische Bild des Landes wurde extrem negativ: es verkörperte Grausamkeit, Arglist, Zerstörung. Über den Krieg schrieben Yuri Bondarev und Boris Vasilyev, Konstantin Simonov und Alexander Tvardovsky, Olga Berggolts und Julia Drunina.
Und das ist das Land des großen Marx?
Ist das Haus von stürmischen Schiller?
Das bin ich, den unter Begleitung
ein Faschist hierher getrieben und Sklave genannt hat!
Und das Spartakisten-Banner wird hier nicht leuchten?
Du hast mich geschlagen, deutscher Bursche,
Und nochmals geschlagen… Wofür? Antworte!..


Musa Jalil «In Alman-Land», 1943
Und das ist das Land des großen Marx?
Ist das Haus von stürmischen Schiller?
Das bin ich, den unter Begleitung
ein Faschist hierher getrieben und Sklave genannt hat!
Und das Spartakisten-Banner wird hier nicht leuchten?
Du hast mich geschlagen, deutscher Bursche,
Und nochmals geschlagen… Wofür? Antworte!..


Musa Jalil «In Alman-Land», 1943
Es bedurfte langer Zeit, damit die Klischees der Kriegsjahre vergessen wurden und man erneut über gemeinsame Interessen beider Länder sprechen konnte. Verbindungsglied zwischen ihnen wurde das sowjetische Deutschland — die DDR.
Russische Kenner der Malerei lernten die deutsche bildende Kunst unter Peter I. kennen. Nach Petersburg wurden bekannte Meister eingeladen, von denen die jungen Künstler lernten. Der Gründer der russischen Porträtschule Ivan Nikitin studierte bei Johann Gottfried Tannauer, dem "ersten Hofmaler" von Peter I.
Johann Gottfried Tannauer. Porträt von Peter I, 1716
Museum des Moskauer, Moskau
Iwan Nikitin. Porträt von Peter I, 1721
Staatliches Russisches Museum, Sankt Petersburg
Bei Jelisaweta Petrowna war der Aufseher der kaiserlichen Galerie ein deutscher Maler. Georg Christoph Groot kaufte für sie in Europa Gemälde der niederländischen, flämischen und deutschen Meister. Sein Bruder Johann-Friedrich Groot wurde der erste Lehrer der Akademie der Künste in der Klasse "Tiere und Vögel". Die Anhänger des Malers waren russische Animisten — Mikhail Ivanov und Karl Friedrich Knappe, Petr Kamenev und Dmitry Borisov.
1764 kaufte Katharina II. beim berliner Kaufmann Johann Gozkowski eine große künstlerische Versammlung. Davon begann die Geschichte der Eremitage, womit auch sich die Deutschen beschäftigten: Lukas Konrad Pfandzelt restaurierte Gemälde und Karl Köller systematisierte Sammlungen.
Franz Gerhardt von Kügelgen. Kaiser Paul I. mit der Familie, 1800
Staatliches Museum – Naturschutzgebiet "Pawlowsk", Sankt Petersburg
Johann Friedrich Groot. Pfau, 1784
Staatliches Russisches Museum, Sankt Petersburg
Georg Christoph Groot. Das Reitporträt der Kaiserin Jelisaweta Petrowna mit Neger-Kind, 1743
Staatliche Tretjakow-Galerie, Moskau
Die deutsche Romantik des frühen 19. Jahrhunderts spiegelte sich auch in der Malkunst wider — in der Richtung "Biedermeier". Den Namen erhielt sie vom Pseudonym eines deutschen Dichters Ludwig Eichrodt, der als Biedermeier gilt. Die Künstler dieser Richtung bildeten ihre Helden in einer gemütlichen Kammerumgebung ab — in Bibliotheken und Klassenzimmern -, umgeben von altgewohnten Haushaltsgegenständen. Merkmale des Stils "Biedermeier" kann man in den Werken von Aleksej Wenezianow, Wassilij Tropinin, Fjodor Tolstoj finden.
In das künstlerische Umfeld ist auch die deutsche Philosophie Eingedrungen. Orest Kiprensky stand im Kontakt mit Goethe. Alexander Ivanov war von dem Kunst-Konzept von Schilling fasziniert, von der Geschichte der Religion von David Strauss und das Schöpfertum der "Nazarener" - deutschen romantischen Künstlern, die ihre Gemälde unter der Malerei des Mittelalters und der Renaissance stilisierten. So erschien das Vorhaben seiner biblischen Sujets.
Russische Künstler besuchten Deutschland, als sie durch Europa reisten. Ivan Sokolov, Jewgraf Sorokin, Carl Rabus waren Mitte des 19. Jahrhunderts in deutschen Ländern und hinterließen viele Reiselandschaftsskizzen. Bis zur zweiten Hälfte des Jahrhunderts lernte man die Malerei vor allem in Italien mit seinem antiken und Renaissance-Erbe und in Frankreich mit einem kühnen innovativen Herangehen an die Kunst. Und später wurde Deutschland zu einem beliebten Reiseziel für Rentner. Besucht waren vor allem Berlin, Dresden, Düsseldorf, Darmstadt und München. Alexander Kozebue arbeitete in München an den Bildern im Schlachtengenre für den Winterpalast. Nikolai Astudin nahm Unterricht bei Landschaftsmaler Karl Rothman und hinterließ eine ganze Gemäldesammlung mit Blick auf die Natur. Die einheimischen Maler nahmen und an den ausländischen Ausstellungen in den deutschen Städten teil.
An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert wandten sich Mitglieder des Vereins "Welt der Kunst" Valentin Serov, Philip Malyavin, Konstantin Somov, Mstislav Dobuzhinsky an die Werke des deutschen Realisten und Symbolisten Hoffmann. Ihre Gemälde wurden 1906 in der Ausstellung russischer Kunst von Sergei Dyagilev in Berlin ausgestellt.
Alexander Benoit. In der deutschen Vorstadt (Nemezkaja Sloboda): Abfahrt des Zaren Peter I. vom Lefort-Haus, 1909
Privatsammlung
Alexander Kotzebue. Schlacht bei Kunersdorf, 1848
Staatliche Ermitage, Sankt Petersburg
Nikolai Astudin. Blick auf die Stadt Bakharakh. Aus dem Album der Kupfergravüren «Rheinburgen und Landschaften», 1911
Privatsammlung
Der Deutsche Expressionismus war den Avantgardisten Aristarch Lentulov, Pavel Filonov, Natalia Goncharova, Wasily Kandinsky nahe.
Der friedliche Dialog zwischen russischen und deutschen Künstlern hat der Erste Weltkrieg unterbrochen. Kusma Petrow-Wodkin und Vasily Shukhaev, Mitrofan Grekov und Petr Konchalovsky, Kazimir Malevich und Michail Larionov zogen ins Feld und verkörperten ihre Eindrücke in Gemälden und Zeichnungen.
Mark Chagall. Verwundeter Soldat, 1914
Philadelphia Museum of Art, Philadelphia, Pennsylvanien, USA
Kasimir Malewitsch. Lindenholztafel nach Gedichte von Wladimir Mayakovsky, 1914
Staatliches Russisches Museum, Sankt Petersburg
Kuzma Petrov-Wodkin. In der Schusslinie, 1916
Staatliches Russisches Museum, Sankt Petersburg
Nach dem Krieg zogen viele Künstler nach Deutschland ab — einige gezwungen, einig freiwillig. Der Sohn von Gregory Myasoedov, Ivan, wanderte aus Russland im 1921 aus. In Deutschland portretierte er prominente Persönlichkeiten. Zur Behandlung ging nach Deutschland der Künstler Leonid Pasternak. Zurück in die UdSSR kehrte er nicht. Mit seiner Frau, einer Wolgadeutschen, verließ Russland Nikolai Zagrekov. In Berlin befreundete er sich mit den Künstlern der "neuen Materialität" - sie stellten sich den Expressionisten gegenüber und proklamierten "die Rückkehr zu einer positiven und konkreten Realität".
Der Rapallovertrag vom 1922 stellte die diplomatische Beziehungen zwischen dem Weimarer Deutschland und der UdSSR wiederher. Es begann eine kurze aber fruchtbare Zeit der Zusammenarbeit. In Berlin fand die Erste Gemäldeausstellung der Kunst des Sowjetischen Russlands statt. Bilder deutscher Künstler — Otto Nagel, Erik Johansson, Heinrich Davringhaus und Wilhelm Lahnit — wurden in Moskau, Leningrad, Saratow, Kasan, Perm ausgestellt.
Nikolai Zagrekov. Porträt von Frau von Shtrück, 1929
Georg Kolbe Museum, Berlin, Deutschland
Ivan Myasoedov. Berlin, 1920er
Privatsammlung
Leonid Pasternak. Insel Rügen. Am Ufer, 1906
Privatsammlung
Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs gingen viele Künstler an die Front. Aber es gab diejenigen, die weiter arbeiteten — sowohl auf den Schlachtfeldern als auch im Hinterland. Während des Krieges machten die Autoren die Reportage-Skizzen, nach denen sie später die Schlachtbilder schufen. Es bluhte Agitation: Künstler malten Cartoons, satirische Plakate und Postkarten, in denen der Feind lächerlich gemacht wurde. Bekannte Karikaturisten in den Kriegsjahren waren Michail Kupriyanov, Porfirij Krylov und Nikolay Sokolov, die sich mit dem gemeinsamen Pseudonym Kukryniksy unterzeichneten.
Arkady Plastov. Faschist flog vorbei, 1942
Staatliche Tretjakow-Galerie, Moskau
Dementiy Schmarinov. Faschistische Horde. Aus dem Zyklus «Vergiss nicht, vergib nicht!», 1942
Staatliche Tretjakow-Galerie, Moskau
Alexander Deineka. Berlin. Auf brücken, 1945
A.A. Deineka-Gemäldegalerie, Kursk
Allmählich erhielt das Bild von Deutschland friedliche Züge in den Werken von Yuri Pimenov, Dmitry Nalbandyan und anderen Künstlern der Nachkriegszeit.
Dmitry Nalbandyan. Deutschland. Dresden, 1972
Privatsammlung
Nikolai Zagrekov. Porträt von Willi Brandt (auf der Tri-büne), 1976
Privatsammlung
Dmitry Nalbandyan. Deutschland. Potsdam, 1972
Privatsammlung
Seit dem 16. Jahrhundert war das Hauptzentrum des Auslandslebens die deutsche Siedlung (Sloboda). Dort ließen sich nieder und lebten lange ausländische Gäste, und die russischen Besucher lernten die fremde Kultur kennen. Hier liessen sich die Orgel, der protestantische Choral und die deutsche weltliche Musik hören. Peter I. besuchte oft die Siedlung — er hatte die Auftritte der Kapelle von Herzog Carl Friedrich Holstein-Gottorp und der sächsischen Pfeifer gern. Dort arbeitete auch das Theater von Johann Kunst, in dem "Singspiele" - komische Opern mit Dialogen zwischen Musiknummern — aufgeführt wurden.
Ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begannen deutsche Komponisten zum Dienst im russischen Reich anzulangen. In Europa wurde bereits über die Talente von Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel gesprochen. Johannes Palshau, Johann Gessler, Hermann Raupach und Matthias Stabinger schrieben Variationen zur russischen Volksmelodien, die einem protestantischen Chor ähnelten.
Die Werke deutscher Musiker der Zeit der Romantik — Karl von Weber, Robert Schumann und Richard Wagner — beeinflussten russische Autoren. Im Geist der "Geniezeit" schrieben Romanzen Nikolai Titov, Alexander Varlamov, Alexander Alyabev und Modest Mussorgsky, und im 20. Jahrhundert — als diese musikalische Strömung wieder etabliert wurde — Nikolai Metner und Sergei Taneev.
«Горные вершины (Felsgipfel)». Worte: Mikhail Lermontov (von Goethe). Musik: Alexander Varlamov
Nikolai (von) Astudin. Alpenlandschaft, 1871. Privatsammlung
1830 fuhr nach Deutschland Mikhail Glinka, um die Gesundheit mit Mineralwässern zu stärken und Berlin anzusehen. Gleichzeitig lehrte der Komponist den Gesang und studierte selbst — bei einem prominenten Musiktheoretiker Siegfried Den. Er schrieb: "Ich bin hier in Berlin so gern, dass ich nicht sagen kann" und fügte manchmal hinzu "Hier bin ich zu Hause".
Mitte des 19. Jahrhunderts nahm die deutsche Musik einen Aufschwung — Robert Schumann, Felix Mendelssohn und Richard Wagner schrieben ihre berühmten Werke. Russische Komponisten reisten nach Deutschland auf die Präsentationen der neuen musikalischen Komposi-tionen, umgingen mit Philosophen und Musikern. Der Komponist Anton Rubinstein lernte während seines Studiums in Deutschland Felix Mendelssohn kennen, den Autor des berühmten "Marsches". Der Komponist liess sich von deutscher Musik hinreißen und wurde einer der ersten in Russland, der damals in Europa gefragte "Oratorios" - bedeutende dramatische Musikkompositionen, die von Solisten mit Chor und Sinfonieorchester aufgeführt wurden — schrieb.
Anton Rubinstein. Oratorium "Das verlorene Paradies"
Alexander Ivanov. Erscheinung Christi vor dem Volk, 1837−1857. Staatliche Tretjakow-Galerie, Moskau
Pjotr Tschaikowski reiste zu Musikfestivals und durchschlagenden Premieren nach Deutschland. Seine zweite Oper "Undine" inszenierte er nach dem Gedicht der deutschen Romantiker Friedrich de la Mott-Fuke und das Ballett "Nussknacker" nach dem Märchen von Hoffmann. Die Fabel über die schöne Prinzessin, die der Zauberer in einen Schwan verwandelt hatte — die Grundlage des Balletts "Schwanensee" - fand Tschaikowsky in einer alten deutschen Legende.
Mit dem Beginn des ersten Weltkriegs hörten Kontakte zwischen deutschen und Russischen Musikern auf. In den Werken einheimischer Komponisten, wie auch in anderen Kunstformen, tauchten universelle Ideen auf, die dem Ende des Krieges und dem Beginn des Friedens gewidmet waren.
Mikhail Wladimirov. Melancholischer Walzer «Stöhnen des Krieges». 1915
Peter Kriwonogow. Der Sieg, 1948. Staatliche Tretjakow-Galerie, Moskau
In den deutschen "goldenen Zwanziger" - den so genannten 1924−1929 — wurde die schöpferische Zusammenarbeit wieder aufgenommen. Mit Konzerten kamen in die UdSSR Georg Kulenkampf, Hermann Abendroth, Hans Knappertsbush und Otto Klemperer. In den 1940er Jahren verschwand die Zusammenarbeit von der Bildfläche wieder. Während des Grossen Vaterländischen Krieges tönten in der sowjetischen Musik die charakteristischen Themen — des Kampfes, des Sieges, des Gedächtnisses der fallenden Helden, der Opferbereitschaft und der Barmherzigkeit.
In den 1960er und 1970er Jahren inspirierte die Erinnerung an den Krieg sowjetische Komponisten zu neuen Werken.
Die ersten Muster der deutschen Architektur in Russland waren die lutherischen Kirchen — St. Michael und St. Peter und Paul. Sie wurden in der Mitte des 17. Jahrhunderts am rechten Ufer des Yauza-Flusses errichtet, als man die Neue deutsche Siedlung baute — anstelle der ehemaligen, die während der Wirrenzeit abgebrannt war.
Noch während der Großen Botschaft in Europa (1697−1698) lernten Peter I. und seine Gefolgsmänner die Architektur Deutschlands — mittelalterliche Festungen und gotische Kathedralen kennen. Sie brachten nicht nur Eindrücke aus der Reise, sondern auch Bücher über die Architektur, mit denen später die russischen Architekten den europäischen Stadtbau studierten.
Auf Einladung von Peter kamen in St. Petersburg Architekten aus Deutschland an — Meister des reifen deutschen Barocks. Andreas Schlüter entwarf die Grotte im Sommergarten — 1777 wurde sie durch Überschwemmungen vernichtet. Theodor Schwertfeger arbeitete an der Alexander-Nevsky-Lavra und schuf ein Projekt für den zentralen Teil des Gebäudes der Zwölf Collegien. Johann Gottfried Schedel errichtete den Menschikow-Palast auf der Wassiljewski-Insel und Gebäude in Oranienbaum, Kronstadt, Strelna.
Im Laufe der Zeit begannen die Rentner der Akademie der Künste in das "Land des Lernens und der Aufklärung" zu reisen. Unter ersten Architekten-Praktikanten waren Iwan Wetoschnikow und Jurij Felten.
Im 19. Jahrhundert förderten Petersburgs "Russlanddeutsche" den Bau lutherischer Tempel. In den 1830er Jahren baute Alexander Bryullov die Kirche St. Peter. Es wurden auch neue gebaut — Petrikirchen, Annenkirchen, Katerinenkirchen.
Während und nach dem Ersten Weltkrieg erschienen architektonische und statuarische Einrichtungen zum Andenken an die Kämpfe und die Opfer.
Neue Bestürzungen von 1941−1945 erweckten einen Aufschwung der monumentalen Kunst. Bildhauer und Meißeler fuhren an die Front und fertigten Skizzen nach der Natur an. Die Steinporträtgalerien schufen Vera Mukhina, Nikolai Tomsky, Ivan Pershudchev, Lev Kerbel und Evgeny Vuchetich.
Als Folge des Krieges 1945 wurde die deutsche Stadt Königsberg an die Sowjetunion übergeben und später in Kaliningrad umbenannt. Hier sind teutonische Burgen, preußische Kirchen und Bastionen, gepflasterte Straßen erhalten geblieben — die jedoch unter den Bombenangriffen gelitten haben. Russische und deutsche Architekten haben das Stadtbild gemeinsam wiederhergestellt — aus dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts.
Der Autor: Tatjana Grigorieva
Layout: Christina Matsevich

Hauptbild:
Bogdan Wid. Ewalde.
Leibgarde des Reiterregiments in einem deutschen Städtchen, 1903.
Privatsammlung